Als die Menschen circa 3200 Jahre vor Christus im Stadtstaat Uruk¹ die Schrift erfanden, konnten sie erstmals ihr kommunikatives Gedächtnis erleichtern. Endlich ließen sich Bauernregeln, Gesetze und Familienchroniken auf Tontafeln verewigen, was die mündliche Überlieferung überflüssig machte. Nachdem dann mit Johannes Gutenberg das Zeitalter der Massenmedien² anbrach, mussten unsere Vorfahren eigentlich nur noch wissen, wo etwas geschrieben steht. Und heute haben wir uns selbst von dieser mühseligen Aufgabe befreit, indem wir Alexa, Siri oder Google fragen, wenn uns die Neugier plagt. Der Drang des Homo sapiens, Informationen auf immer leistungsfähigere Datenträger auszulagern, liegt an der Beschränktheit seiner Biologie. So besitzt das menschliche Kurzzeitgedächtnis beispielsweise nur sieben³ Speicherplätze, die alle 30 Sekunden überschrieben werden. Des Weiteren sind sowohl etliche Übungen wie auch Wiederholungen und gesunder Schlaf⁴ vonnöten, ehe wir uns neue Lerninhalte dauerhaft einprägen. Darüber hinaus verringert sich die Leistungsfähigkeit unseres Denkapparats ab dem fünfzigsten Lebensjahr in solch hohem Maße, dass es nach der Midlife-Crisis ohnehin keinen Zweck mehr hat, sich irgendetwas merken zu wollen.
Hinsichtlich der Mechanik wird bei älteren Menschen das Kurzzeit- und Arbeitsgedächtnis schlechter. Beschwerden hierüber gibt es ab dem 50. Lebensjahr, wobei das Arbeitsgedächtnis genau genommen schon ab dem 25. Lebensjahr nachlässt.
Korte, Martin: Jung im Kopf. Erstaunliche Einsichten der Gehirnforschung in das Älterwerden. 2. Auflage. München: Deutsche Verlags-Anstalt 2012.
Was spricht also dagegen, den geistigen Verfall durch intensiven Fernsehkonsum⁵ zu beschleunigen? Persönliche Daten zum Beispiel, die jedes Individuum stets parat haben sollte, um gut durch den Alltag zu kommen. Dabei haben PIN-Codes, Passwörter und Jubiläen eine Sache gemeinsam; sie bestehen größtenteils aus fiesen Zahlen, die unser Gehirn nur ungern speichert.
Das Merken von Zahlen bereitet vielen Menschen Schwierigkeiten. Zahlen sind abstrakte Informationen, sie sind nicht bildhaft.
Kürsteiner, Peter: Gedächtnistraining. Mehr merken mit Mnemotechnik. 7. Auflage. München: Redline Verlag 2016.
Damit wir uns wichtige Informationen trotz widrigster Umstände einprägen, gibt es nützliche Merkhilfen wie Eselsbrücken oder Reime. Und sollten diese Techniken versagen, dann bleiben ja immer noch die guten alten Notizen. Diese schriftlichen Gedächtnisstützen kleben selbst heute noch an PC-Bildschirmen, obwohl es längst eine große Auswahl an kostenloser Organisationssoftware gibt. Wer aber schon so bequem ist, dass er sich nicht mal mehr in ein neues Büroprogramm einarbeiten möchte, der kann seine Vermerke auch direkt auf den Desktop-Hintergrund schreiben.
Allerdings setzt Ubuntu zwei kleine Hilfsmittel voraus, ehe sich die Arbeitsfläche in eine Tafel verwandeln lässt. So muss die Linux-Distribution zwingend das Gnome-Optimierungswerkzeug bereitstellen. Dieses offizielle Kontrollinstrument befindet sich im Universe-Depot und kann mithilfe eines Terminal-Fensters installiert werden:
sudo apt-get install gnome-tweak-tool
Außerdem ist eine Erweiterung namens DrawOnYourScreen⁶ vonnöten, die zum Funktionieren mindestens die LTS-Version 18.04 verlangt:
sudo apt-get install gnome-shell-extension-draw-on-your-screen
Nachdem beide Softwarepakete über die Konsole integriert wurden, ist ein Neustart des Desktops erforderlich. Hierfür drückt der Benutzer die Tastenkombination Alt + F2 und trägt im aufploppenden Fenster den Buchstaben R ein. Dann tippt er auf den Zeilenschalter, um seine Eingabe zu bestätigen.
Zu guter Letzt muss der Linux-Anwender den Notizblock einmalig aktivieren, indem er über die Ubuntu Aktivitäten-Suchleiste in das Menü „Optimierungen” navigiert. Dort befindet sich im Reiter „Erweiterungen” hinter dem Eintrag „Draw on your screen” ein Schieberegler, über den die Freeware in den Bereitschaftsbetrieb gesetzt werden kann.
Sobald die digitale Gedächtnishilfe scharfgeschaltet wurde, können die geistigen Ressourcen des Benutzers gerne erschöpfen. Denn ab sofort ist nur noch eine Tastenkombination vonnöten, ehe sich die Arbeitsfläche in ein überdimensionales Schmierblatt verwandelt.
Den Skizzenblock nutzen
Szenario: Durch den übermäßigen Konsum von Alkohol und Antidepressiva neige ich zum Schlafwandeln. Während des Dämmerzustandes spaziere ich allerdings nicht wie ein Zombie durch die Gegend. Stattdessen möchte mein Geist etwas erschaffen. So wachte ich eines Morgens im Zimmer meines Sohnes auf und hatte übernacht seine Spielzeugeisenbahn aufgebaut. Ein anderes Mal fand ich die Formel für die Herstellung eines Nowitschok-Kampfstoffes in meiner Jackentasche. Ohne derartige Funde weiß ich allerdings nie so genau, was ich in der Finsternis getrieben habe. Gestern wollte ich überprüfen, ob meine Aktivitäten in irgendeiner Form monetär verwertbar sind, weshalb ich meinen Ubuntu-PC die ganze Nacht laufen ließ. Außerdem startete ich vor dem Zubettgehen den Schreibtafelmodus, indem ich die Windows-Logo-Taste zusammen mit Alt und D drückte.
Als ich heute dann in Fötusstellung neben meinem vollgekotzten Badläufer aufwachte, hoffte ich insgeheim, dass in mir zumindest ein kleiner Picasso oder Harald zur Hausen steckt. Doch leider ist auch mein Unterbewusstsein zu nichts zu gebrauchen. Denn an meinem Rechner angekommen, fand ich auf dem Bildschirm lediglich irgendein Mode-Gekritzel vor.
Trotz dieser Enttäuschung wollte ich mein Kunstwerk speichern, da ich es während der nächsten Therapiesitzung meinem Psychologen zeigen möchte. Demzufolge drückte ich auf die rechte Maustaste, woraufhin DrawOnYourScreen ein Pop-up-Fenster zum Vorschein brachte. Zunächst wählte ich den Menüpunkt „Save drawing” an, was aber nur den Effekt hatte, dass meine Skizze auch nach dem nächsten Ubuntu-Neustart noch vorhanden ist. Ohne diese Maßnahme werden nämlich alle Desktop-Notizen beim Herunterfahren des Systems gelöscht.
Arbeitsfläche speichern
Um mein Design zu exportieren, musste ich also auf den Eintrag „Save drawing as a SVG file” klicken. Eine weitere Möglichkeit wäre gewesen, die gesamte Benutzeroberfläche mit der Drucken-Tasten abzufotografieren.
Übrigens, wer seine Notizen nicht mit der Maus, sondern mit der Tastatur schreiben möchte, der muss den Modus „Free drawing” in „Text” ändern. Im Anschluss daran funktioniert die Schrifteingabe wie bei einem Grafikprogramm. Das heißt Fenster ziehen - Buchstaben tippen und am Ende den Zeilenschalter drücken.
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¹Heinken, Siebo: Mesopotamien. Labor des Wissens. In: P.M. History Nr. 2 (2021). S. 26.
²Vetter, Veronika Helga: Leseständer basteln - Buchstütze aus Karton im Vintage Design. gws2.de (02/2021).
³Iddon, Jo & Huw Williams: Gedächtnis-Training. 10 Schritte zum perfekten Gedächtnis. Fränkisch-Crumbach: EDITION XXL GmbH 2007.
⁴Karsten, Michaela: Campus Magazin: Wie tickt das Gehirn und was bringt das Gedächtnis auf Trab? ARD-alpha (2020).
⁵Stocker, Anita: Viel TV schadet Gedächtnis. In: test Nr. 6 (2019). S. 88.
⁶abakkk: DrawOnYourScreen. framagit.org (02/2021).
Konditormeister sagt:
Tach, schön geschriebene und interessante Einleitung. Habe den Notizblock für Desktop installiert, hat gut funktioniert. Muss mich ein wenig einarbeiten aber es ist das, was ich suchte. Fahre seit 2019 mit Ubuntu und komme immer besser zurecht. Gute Webseite hier.