In Ubuntu-Umgebungen fühlen sich Radeon-Grafikkarten wie in einem Sporthotel. Beim Check-In nimmt ein Concierge namens amdgpu die persönlichen Daten eines jeden Modells auf, sodass die Hardware während der Wachphase ihren VRAM, ihre Auflösungen und alle Bildschirmanschlüsse nutzen kann. Sollte die visualisierende Computerkomponente eine schweißtreibende Aktivität unternehmen wollen, dann übergibt der Open-Source-Treiber¹ seinen Gast an einen Animateur, den alle Mesa 3D² nennen. Dieser hochgebildete Betreuer ist in der Lage, fremdartige Codeschnipsel von OpenGL³ oder Vulkan⁴ zu übersetzen, was ein ruckelfreies Spielvergnügen mit hohen Bildraten ermöglicht. Des Weiteren besitzt der unixoide Unterhaltungskünstler den Schlüssel zum Kinosaal. Dort läuft der Filmprojektor jedoch nur, wenn der Grafikchip selbst in die Pedale tritt und beim Dekomprimieren des Videocodecs mithilft. Dieses ausgeklügelte System wurde entwickelt, damit die Herberge nicht nur Strom, sondern auch Abwärme spart.
Unter Linux greifen Wiedergabeprogramme über die Video-Acceleration-API (VA-API) auf die Beschleunigungsfunktionen des Grafikchips zu. [...] Der Energieverbrauch des Systems sinkt bei aktiviertem VA-API merklich.
Menzel, Paul: Volles Potenzial. Die Grafikkarte zum Dekodieren von Videos unter Firefox mit VA-API nutzen. In: Linux User Nr. 10 (2020). S. 88.
Doch obwohl die Ubuntu-Resorts standardmäßig hohen Komfort für AMD-GPUs bieten, erreichen sie auf Bewertungsplattformen nie die volle Punktzahl. Das liegt vor allem daran, dass Linux-Distributionen den mentalen Bereich von Grafikkarten völlig außer Acht lassen. So gibt es beispielsweise keine einfühlsame Zugehfrau, die das Leben von überdrehten Radeon-Geräten ordnet.
Fehlende Konfigurationsmöglichkeiten fallen bei AMD-Grafikkarten aber besonders ins Gewicht, da diese nicht vom Chiphersteller, sondern von Drittfirmen zusammengebaut werden.
- Und Hardwareunternehmen wie PowerColor, Sapphire oder MSI sparen mitunter am Kühlsystem, um ihre Gewinnmargen zu erhöhen. Das Ergebnis: Schon bei mittlerer Last sind die PCI-Express-Geräte lautstärkentechnisch nicht mehr von Laubbläsern zu unterscheiden.
- Hingegen manche Modelle besitzen auch einfach nur ein falsch justiertes Lüfterprofil und würden ein GPU-Firmware-Update benötigen, was die Produzenten natürlich so gut wie nie nachreichen.
Währenddessen Windows-Nutzer die ohrenbetäubenden Missstände schon immer mit der Radeon-Treibersoftware eindämmen konnten, mussten Ubuntu-Anwender lange Zeit auf Lärmschutzkopfhörer zurückgreifen.
Seit dem Jahre 2015 ist AMD jedoch aktiv an der Entwicklung des vorinstallierten Linux-Treibers beteiligt, wodurch sich GPU-Kühlungen unter Ubuntu 16.04 LTS erstmals regulieren ließen. Hierfür richtete der kalifornische Chiphersteller eine Schnittstelle im Modul amdgpu ein, worüber Bash- oder Python-Skripte⁵ Einfluss auf die Lüftergeschwindigkeit nehmen können. Da aber nur die wenigsten Debian-Derivat-Nutzer begnadete Terminal-Athleten sind, zeigten sich ein paar italienische Full-Stack-Entwickler⁶ gnädig, indem sie das Privatanwenderprogramm Radeon Profile geschrieben haben.
Mit diesem übersichtlichen GPU-Monitor ist es dank eines Schiebereglers kinderleicht möglich, die Ventilatoren auf der Grafikkarte zu bändigen. Und damit nichts kaputt geht, stellt die Freeware omnipräsent die Temperatur des AMD-Chips dar. Doch das Werkzeug kann noch mehr und steht dem berühmten MSI Afterburner in nichts nach. So zeigen die Pinguin-Autoren in der folgenden Anleitung, wie sich mit Radeon Profile eine individuelle Lüfterkurve erstellen lässt, die den Kühlbedarf deckt und gleichzeitig Gehörschäden vermeidet.
Grafikkarte zu laut
Szenario: Aufgrund des sprunghaften Anstiegs von Kryptominern⁷ und der coronabedingten Homeoffice-Pflicht⁸ war die Nachfrage nach dedizierten Videoausgabegeräten im Jahre 2021 so hoch wie nie, was zu einer Preisexplosion führte. Um die Zeit bis zur Normalisierung des Marktes zu überbrücken, habe ich mir bei eBay eine Radeon R9 360 von VTX3D als Übergangslösung gekauft. Die Hardware wurde nach dem Einbau sofort von Ubuntu erkannt und konnte direkt ihr volles Leistungspotenzial ausschöpfen. Doch bereits im Internetsurfbetrieb ist das Rauschen des Kühlsystems deutlich zu hören. Und wenn ich einen YouTube-Clip in HD-Qualität anschaue, dann wirbeln die Lüfter schon mit 1900 Umdrehungen in der Minute, obwohl die AMD-GPU noch keine Betriebstemperatur erreicht hat.
Bitte Temperaturhinweise beachten!
Lesen Sie bitte diesen Artikel zum Thema GPU-Temperaturen, ehe Sie die Lüfter auf Ihrer Grafikkarte regulieren. Die Betreiberin der Domain GWS2.de übernimmt keine Haftung für Schäden, die durch die Anwendung von Radeon Profile entstanden sind.
Bevor ich den Brummer in meinem PC leiser machen kann, muss ich zunächst einmal Radeon Profile installieren. Hierfür öffne ich als Erstes ein Terminal-Fenster, indem ich die Tastenkombination Strg + Alt + T drücke. Gleich darauf trage ich den folgenden Befehl in die Konsole ein, um mein System mit einer neuen Softwarequelle auszustatten:
sudo add-apt-repository ppa:radeon-profile/stable
Direkt im Anschluss starte ich die Integration des GPU-Monitors mithilfe des nachstehenden Kommandos:
sudo apt-get install radeon-profile
Sobald alle Programmpakete heruntergeladen und entpackt wurden, schließe ich die Unix-Shell wieder. Dann navigiere ich in die Ubuntu Aktivitäten-Suchleiste und rufe dort die virtuelle Lüfterdrossel über das Grafikkartensymbol auf.
Wie bereits erwähnt, ist meine R9 360 im Browserbetrieb unverhältnismäßig laut. Die geringe Last, die beim Berechnen von Grafiken und Decodieren von Internetclips entsteht, rechtfertigt in keiner Weise die Mutation zu einem dröhnenden Diesel-Rasenmäher. Um den Lüftern schnell den Wind aus den Segeln zu nehmen, wähle ich im Hauptmenü von Radeon Profile den Reiter „Fan Control” an.
Unmittelbar danach klicke ich auf die Schaltfläche „Fixed”, woraufhin sich die GPU-Ventilatoren nur noch mit 15% ihrer Maximalgeschwindigkeit drehen. Meiner Erfahrung nach ist diese unkomplizierte Zweiklicklösung perfekt für alle Webanwendungen geeignet, da zumindest meine Grafikkarte in diesem Modus nie wärmer als 63 Grad Celsius wird.
Motorsäge im PC-Gehäuse
Szenario: In meiner rar gesäten Freizeit schlüpfe ich gerne in die Rolle eines frühmittelalterlichen Monarchen. Doch im Gegensatz zu Peter Fitzek⁹ rufe ich hierfür kein neues Königreich aus, sondern starte die native Linux-Version von Crusader Kings III. Dieses ressourcenhungrige Spielemeisterwerk treibt die Grafikkarte mithilfe von OpenGL¹⁰ an, um exquisite 3D-Effekte auf den Bildschirm zu zaubern. Dabei entsteht streckenweise große Last auf der Videohardware, die wiederum zu gesteigerter Abwärme führt. Das Ergebnis: Selbst bei niedrigen Qualitätseinstellungen verwandelt sich meine R9 360 geräuschtechnisch in eine Motorsäge. Es wäre aber fahrlässig, die Rotoren auf einer festen Stufe laufen zu lassen, da ich die Temperatur des AMD-Chips während meiner virtuellen Regentschaft nicht im Blick behalten kann. Besser ist es, wenn ich mithilfe von Radeon Profile eine adaptive Lüfterkurve erstelle, die höhere Wärmegrade als die GPU-Firmware toleriert.
Um ein individuelles Kühlprofil anzulegen, klicke ich im Reiter „Fan Control” die Schaltfläche „Custom curve” an. Direkt im Anschluss lösche ich den obersten Mustereintrag, sodass ich daraufhin einen eigenen Wert mithilfe des Auswahlknopfes „Add step” hinterlegen kann.
Mein erster Eintrag soll dann das Folgende bezwecken: Bis der Grafikchip eine Temperatur von 55 Grad Celsius erreicht hat, dürfen sich die Lüfter nur auf 25% ihrer Maximalgeschwindigkeit drehen, was in meinem Fall 1500 Umdrehungen in der Minute entspricht.
Gleich nachdem ich die beiden Basisparameter gesetzt habe, vervollständige ich die Lüfterkurve, indem ich das Tempo der Rotoren stufenweise mit dem Wärmegrad ansteigen lasse.
- Hierbei gibt es nur eine Regel: Bei einer GPU-Temperatur von 90 Grad Celsius ist es zwingend erforderlich, dass die Ventilatoren mit voller Leistung arbeiten dürfen.
- Ganz zum Schluss speichere ich meine Einstellungen über die Schaltfläche „Save as”.
In Zukunft muss ich dann vor dem Spielen immer den Punkt „Custom curve” aktivieren, um dauerhaften Motorsägenlärm in Crusader Kings III zu verhindern. Doch aufgepasst: Natürlich bewirkt Radeon Profile keine Wunder, sondern doktert lediglich an den Symptomen eines schlechten Kühlsystems herum. Absolute Ruhe trotz hoher Grafikkartenbelastung bieten nur die Premiumhersteller Asus, XFX und Gigabyte in ihrer AMD-Produktpalette an. Wer dagegen zur günstigeren Konkurrenz greift, der kann die Störgeräusche zwar minimieren, aber niemals verschwinden lassen.
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¹Kofler, Michael: Linux. Das umfassende Handbuch. 15. aktualisierte Auflage. Bonn: Rheinwerk Verlag 2017.
²Paul, Brian: The Mesa 3D Graphics Library. mesa3d.org (06/2021).
³Leemhuis, Thorsten: Performantere 3D-Treiber für Linux. In: c’t Nr. 22 (2019). S. 35.
⁴Leemhuis, Thorsten: Mesa 19.1: Neue und schnellere 3D-Treiber für Linux. In: c’t Nr. 14 (2019). S. 45.
⁵chestm007: amdgpu-fan. github.com (06/2021).
⁶marazmista: Contributors - Radeon Profile. github.com (06/2021).
⁷Söldner, Michael: Analysten: Grafikkarten das ganze Jahr lang knapp. pcwelt.de (06/2021).
⁸Luther, Jörg: PC-Markt wächst in der Pandemie. In: Linux Magazin Nr. 3 (2021). S. 16.
⁹Fitzek, Peter: Die Vision eines Gemeinwohlstaates. youtube.com (06/2021).
¹⁰Paradox Interactive: Important Information. crusaderkings.com (06/2021).
Christian Uhl sagt:
Moin, ich habe eine Linux-Alternative für MSI Afterburner gesucht und bin deswegen hier gelandet. Die Anleitung ist sehr gut, Radeon Profile ist genau das, was ich gesucht habe. Einige Anmerkungen zum Text:
Unter 400€ wird es keine neue AMD-GPU mit 256 Bit geben. Also brauchst du nicht auf die „Normalisierung des Marktes” warten. Die Preise müssen anziehen, um den Chip-Produzenten höhere Margen zu ermöglich, da die sonst ausschließlich für die Automobilindustrie herstellen. Außerdem spielen auch die relativ hohen Inflationsraten des Euros und Dollars eine Rolle. Ich finde das gut, da so wieder nachhaltig mit Hardware umgegangen wird.
Meine Sapphire RX 580 ist mir auch zu laut. Also habe ich einen Zusatzlüfter drauf gebaut und hantiere mit Afterburner und Radeon Profile. So kann ich die Karte locker noch 3 Jahre nutzen.
FiLMyPasion sagt:
Heyho! Bei mir dröhnt eine AMD R9 390 (MSI) und zwar heftig. Wenn ich bspw. RimWorld zocke, dann drehen die Lüfter ständig auf 100%, total nervig. Jetzt hab ich das Radeon Profile installiert und eine eigene Lüfterkurve erstellt. Beim Spielen geht die Karte bei 65% auf 85 Grad, so ist es wesentlich besser. Bei 89 Grad lasse ich 100% laufen, aber da kommt es nur selten hin.
Ziemlich coole Sache das Ganze, kann ich empfehlen. Installation unter 20.04 war easy, danke für die Befehle.