Das ist doch zum Mäusemelken! Im Durchschnitt konsumiert jeder Deutsche 100 Radiominuten¹ am Tag, aber Ubuntu besitzt kein zeitgemäßes Bordmittel für den Hörfunkempfang. Durch diesen Missstand macht sich Canonical von Hobbyprogrammierern abhängig, die ihre Drittanbietersoftware mithilfe der Snappy-Paketverwaltung oder via PPA verteilen. So wie Meni Edri, der mit odio eine kostenlose Streamingapplikation erschuf, in der bereits über 25.000 Sendestationen vorinstalliert waren. Dann passierte jedoch etwas, was in letzter Zeit immer häufiger geschieht: Nachdem nicht nur die Pinguin-Autoren, sondern auch namhafte Linux-Magazine das Radioprogramm ausführlich vorgestellt hatten, ließ der israelische Full-Stack-Entwickler² seinen Audioreceiver sterben.
Auf euren Rat hin habe ich odio installiert, da ich ebenfalls eine Linux-Alternative für RadioSure suchte. Die Software lief bis August 2020 super, dann standen keine Sender mehr zur Auswahl. Soweit ich informiert bin, arbeitet der Entwickler an einem neuen Streamingdienst, weshalb er die obsolete Schnittstelle zum Community Radio Browser³ nicht erneuert.
Maler, Johannes: Radioartikel sollte erneuert werden. E-Mail vom 24.09.2020.
Durch den schnelllebigen Zeitgeist entsteht reihenweise Abandonware, weshalb es überhaupt keinen Sinn mehr macht, inoffizielle Ubuntu-Werkzeuge zu nutzen. Demzufolge sollten Hörfunkfreunde auf die gute alte Rhythmbox zurückgreifen, wenn sie ein Internetradio ohne geöffneten Webbrowser genießen möchten. Der freie Medienspieler gehört seit dem Jahre 2002 fest zum Repertoire des Gnome-Desktops und ist für die wichtigsten Audioanwendungsgebiete geeignet.
Allerdings wurde die Menüführung des Bordmittels in den vergangenen Dekaden nur punktuell verbessert, weshalb die Freeware keine intuitive Benutzeroberfläche besitzt. Zwar stehen diverse Plugins zur Verfügung, die den Komfort der Rhythmbox verbessern sollen; aber auch diese Hilfsmittel stammen von Drittanbietern und sind deshalb zumeist nicht mehr funktionsfähig.
Immerhin erhält der Standardplayer circa alle eineinhalb Jahre kleinere Updates, die über die offiziellen Ubuntu-Quellen verteilt werden. Aktualisierte Programmversionen sind dann häufig mit trendigen Webdiensten kompatibel, die jedoch kaum jemand nutzt. Abgesehen davon hat sich die Applikation verglichen mit ihrem Ursprungszustand nur wenig verändert.
Trotz ihrer Defizite ist die Rhythmbox seit jeher ein solider IP-Radioempfänger. Das Bordmittel spielt alle gängigen Audioformate ab und zeigt in der Taskleiste fünf Sekunden lang den Titel der aktuellen Wiedergabe an.
- Bedauerlicherweise enthält die Freeware von Haus aus nur 22 vorkonfigurierte Hörfunkstationen, die zudem ein äußerst spezielles Musikprogramm im Angebot haben.
- Dieser Umstand ist jedoch nicht weiter schlimm, da sich der Live-Stream-Receiver beliebig erweitern lässt.
Was in der Theorie einfach klingt, bereitet in der Praxis sehr viel Mühe. Jeder einzelne Sender muss nämlich händisch in die hölzerne Benutzeroberfläche integriert werden.
In der folgenden Anleitung erfahren musikbegeisterte Ubuntu-Freunde zum einen, wie sie ihre Rhythmbox mit neuen IP-Radiostationen ausstatten. Zum anderen stellen die Pinguin-Autoren einen gutherzigen Niederländer vor, der auf seiner Webseite deutschsprachige Stream-Adressen katalogisiert hat. Darüber hinaus sehen interessierte Leser den Ort, an dem sich die Senderdatenbank befindet. Dadurch ist es möglich, die hinzugefügten Medienquellen für die Ewigkeit zu konservieren.
Rhythmbox ergänzen
Szenario: Um mir mein Albanologiestudium zu finanzieren, trat ich in meiner Blütezeit regelmäßig in Bremer Nachtclubs als Travestiekünstler auf. Bei dieser Gelegenheit lernte ich eines Tages die Brüder Manabu und Ayumi kennen. Die beiden kamen aus Funabashi und wollten an ihrem letzten Urlaubstag noch ein exotisches Abenteuer erleben. Über die Jahre hielten wir nur oberflächlichen Kontakt, bis mich einer meiner japanischen Bekanntschaften am 30. August 2020 anschrieb und fragte, ob er mit seiner Frau bei mir übernachten könne. Das Ehepaar hatte einen Tag zuvor den Sturm auf den Reichstag⁴ via Live-Stream mitverfolgt und war nun der Meinung, dass Deutschland kurz vor einem zweiten Wiedervereinigungsmoment steht. Natürlich sagte ich zu und begann sofort damit, mein Gästezimmer auf den fernöstlichen Besuch vorzubereiten. Jedes Klischee sollte erfüllt sein, weshalb ich die Wände mit Reichsflaggen und Bismarck-Devotionalien dekorierte. Darüber hinaus stellte ich einen Ubuntu-PC in die Touristenherberge, sodass meine weit gereisten Gefährten die Möglichkeit haben, hiesige Medien zu konsumieren. Währenddessen sich IPTV mühelos über Zattoo ansehen lässt, musste ich die Rhythmbox erst mit einigen Radiostationen ausstatten.
Bevor ich mit der Konfiguration des Audioreceivers beginnen konnte, surfte ich zunächst einmal auf die Webseite von Hendrik Jansen. Der niederländische Genealogieliebhaber stellt auf seiner Internetpräsenz nämlich die Stream-Adressen von den wichtigsten deutschsprachigen Sendern zur Verfügung.
Direkt im Anschluss öffnete ich die Rhythmbox über die Ubuntu Aktivitäten-Suchleiste. Sobald die Audiosoftware geladen war, wechselte ich in den Reiter „Radio”, woraufhin mir die vorinstallierten Medienquellen angezeigt wurden. Bedauerlicherweise traf kein Stream meinen Musikgeschmack. Aus diesem Grund markierte ich alle Einträge, sodass ich die Standardsender unmittelbar danach über die Schaltfläche „Bearbeiten” löschen konnte.
Nachdem ich das Bordmittel gesäubert hatte, klickte ich im Hauptmenü auf „Hinzufügen”, was wiederum ein Pop-up-Fenster hervorrief. Gleich darauf wechselte ich in meinen Webbrowser, um mir den Katalog von Hendrik Jansen anzeigen zu lassen. Dort suchte ich mir einen passenden Live-Stream heraus, dessen IP-Adresse ich nach dem Kopieren in die geöffnete Rhythmbox-Eingabemaske einfügte.
Zu guter Letzt musste ich den neuen Eintrag editieren. Denn leider ist mein Empfangswerkzeug nicht in der Lage, die Metadaten der Audioquelle in die Senderdatenbank zu übertragen. Stattdessen speichert die Freeware lediglich die hinzugefügte URL im Reiter „Radio” ab. Also markierte ich die frisch eingegliederte Zeile, damit ich mit der Tastenkombination Alt + Eingabe die Stream-Eigenschaften bearbeiten konnte.
Als ich dem Sender dann einen Namen und eine Kategorie zugewiesen hatte, wiederholte ich das vorangegangene Prozedere so lange, bis meine Rhythmbox über ein vielseitiges Radioangebot verfügte.
Einmal und nie wieder
Am Ende gefiel mir das Quellenportfolio im Gäste-Audioplayer so gut, dass ich es auf meinen Privatrechner übertragen wollte. Als Betreiber eines Ubuntu-Blogs wäre es aber eine Schande gewesen, wenn ich jede IP-Adresse noch einmal händisch in mein Hauptsystem integriert hätte. Stattdessen folgte ich dem nachstehenden Pfad, um die Mediendatenbank auf meinen Netzwerkspeicher zu kopieren:
Persönlicher Ordner/.local/share/rhythmbox/rhythmdb.xml
Gerade als ich das XML-Dokument auf mein NAS transferiert hatte, fiel mir ein, dass ich auf meinem Zielcomputer die KDE-Plasma-Oberfläche verwende. Doch zum Glück arbeitet die Rhythmbox mit allen Desktop-Umgebungen zusammen, da sie auf dem GTK-Toolkit basiert.
Weil sich aber Gtk-3-Programme auch ohne Gnome nutzen lassen, können Sie Rhythmbox auch auf einem KDE-Desktop ohne Probleme nutzen.
Loschwitz, Martin: Den Ton angeben. Amarok, Rhythmbox, Guayadeque, Audacious: Audioplayer im Überblick. linux-community.de (10/2020).
Allerdings gehört der IP-Radio-Receiver nicht zu den Kubuntu-Bordmitteln, weshalb ich die Applikation erst einmal nachinstallieren musste:
Zum Anzeigen des Befehls auf den Pfeil klicken!
sudo apt-get update && sudo apt-get install rhythmbox
Gleich nach der Softwareintegration legte ich die zwischengeparkte Datenbank in meinem Home-Verzeichnis ab.
Dann öffnete ich die Rhythmbox und stellte zufrieden fest, dass die Radiosender in meinem Gästezimmer nun auch auf meinem Hauptrechner bereitstehen.
Musik ist teuer
Die deutschen Länder leisten sich mittlerweile 74 öffentlich-rechtliche Hörfunkstationen, die sich alle über das Internet konsumieren lassen. Für die Finanzierung solcher Medienangebote muss jeder Bundesbürger monatlich eine opulente Rundfunkgebühr an den Staat abführen. Trotz dieser Belastung hatte im Jahre 2020 jeder vierte Online-Nutzer zusätzlich ein hochpreisiges Streaming-Abo abgeschlossen.
Jeder vierte Internetnutzer in Deutschland hat ein Streaming-Abo, um Musik, Hörspiele oder Podcasts zu hören. Im Schnitt zahlt jeder elf Euro monatlich dafür.
Stocker, Anita: Elf Euro für Musik. In: test Nr. 9 (2020). S. 22.
Sind das die Auswüchse einer übersättigten Wohlstandsgesellschaft? Schließlich stellen Apache 207, Kerstin Ott und Co. ihre Tonkunst auf YouTube kostenlos zur Verfügung. Und wer den ganzen Tag Mark Forster oder Ed Sheeran hören möchte, der muss seine Rhythmbox lediglich mit einem Privatsender ausstatten. Denn obwohl sie sich kaum voneinander unterscheiden, werden diese werbefinanzierten Chart-Musik-Radios in Deutschland hundertfach betrieben. Es gibt also eigentlich keinen Grund, die Aktionäre eines kommerziellen Audio-Streaming-Dienstes reich zu machen.
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¹Link, Michael: Zahlen, Daten, Fakten: Rundfunk, Fernsehen und wie wir uns noch berieseln lassen. In: c’t Nr. 3 (2020). S. 110.
²Edri, Meni: spiral2k. github.com (10/2020).
³Segler, Alex: Community Radio Browser. radio-browser.info (10/2020).
⁴Münzenmaier, Sebastian: Nachbetrachtung der Corona-Demo in Berlin am 29.08.2020. sebastian-muenzenmaier.de (10/2020).
Pierre sagt:
Moinsen! Rhythmbox ist natürlich bekannt. Der Tipp mit dem Datenbankexport ist Gold wert. Euer Niederländer hat sich ziemlich Mühe gegeben, da sind sogar Schulradios dabei. Lese hier schon länger, wäre schön, wenn ihr öfters was veröffentlichen könntet.
Rainmund Knarr sagt:
Grüße an Sie alle, vor wenigen Tagen erreichte ich das 83te Lebensjahr. In den kalten Tagen während der Corona-Quarantäne nutzte ich die Zeit, um mich näher mit Ubuntu zu befassen. Ein wirklich tolles Betriebssystem und obendrein kostenlos.
Radio ist mein Hauptmedium und bin ich sehr froh, auf diese hilfreiche Anleitung gestoßen zu sein. Anhand Ihres Textes konnte ich spielend einige Sender integrieren. Die Datenbank ist ebenfalls sehr reichhaltig.
Besten Dank, Ihre Webseite ist für Menschen wie mich sehr nützlich. Es bereitet auch viel Freude, da Sie Ihre Texte sehr lebendig gestalten.
Otokar sagt:
Dat löppt wunderbärchen. Gerade anhand Ihrer Anleitung mein Radio eingerichtet. Die Rhythmbox ist eine schöne Software, kein Schnick Schnack. Die Senderliste perfekt, war viel für mich dabei. Mehr habe ich nicht zu berichten, Ende.
K. T. Häuslinger (Hagenau) sagt:
Guten Tag, wirklich großartige Erklärungen. In meinem Alter (78) ist man bezüglich Computern immer mal wieder auf Hilfe angewiesen. Obwohl ich mit Ubuntu sehr zufrieden bin, war es mir ein Rätsel, wie ich damit Radio höre. Nun haben Sie mir nicht nur gezeigt, wie ich Funk empfange, sondern gaben mir auch tolle Senderadressen zur Auswahl. Herzlichen Dank, Sie haben mir sehr geholfen.
Harry sagt:
Man dankt für die wertvollen Informationen. Musste zwar einen Sonntag-Nachmittag für die Einrichtung opfern, jetzt läuft in meiner Garage aber endlich gescheite Musik. UKW-Rundfunk ist ja nicht mehr zum Aushalten gewesen. Nutze ein LincPlus P1 mit Ubuntu als Empfänger. Allet Tipitopi
Benutzer_Schmitt sagt:
Puh angesichts der Kommentare bin ich nicht der Einzige, der 2022 Radiosender einrichten möchte. Die Rythmbox ist wirklich altmodisch, was die Bedienung angeht aber am Ende hat man nur die Sender, die man wirklich hören will. Nun gut, dann kämpfe ich mich mal durch die Senderdatenbank.
Ubuntu gefällt mir wirklich gut, man hat alles unter Kontrolle, nichts verselbstständigt sich. Der Umstieg von Windows 7 fällt mir trotzdem sehr schwer, was eventuell an meinem Alter liegen könnte - Baujahr 1947.
Ich bedanke mich für die hilfreiche Anleitung. Leider sind viele Hilfestellungen für Ubuntu in englischer Sprache, da bildet Ihre Webseite eine schöne Ausnahme. Alles Gute.
Thomas Goebel sagt:
Eine wunderbare Aufgabe für den Sonntag Vormittag. Ich habe die Anleitung mit Begeisterung gelesen und befolgt, nun ist meine Rhythmbox ausgestattet. Ihre Partnerseite war mir dabei ebenso sehr behilflich. Unglaublich, wie viel Radiosender es in Deutschland gibt.
Ubuntu ist einfach schön. Tolle Gemeinschaft, stabil wie ein T-62 und anpassbar wie ein maßgeschneideter Anzug. Liebe Grüße an alle, die das Lesen!
Helpdesk sagt:
Der Link zur Radio-Sender-Liste wurde aktualisiert. Danke für die zahlreichen Hinweise.